Eine Welt voller Menschlichkeit?

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Mein Blick schweift über den Platz im Zentrum der Stadt. Es herrscht ein reger Betrieb. Kinder rennen um die Wette, einige spielen mit dem Ball, andere um leuchtende augmented-reality-Terminals. Lautes Gelächter schallt durch die Luft. An einem Baum sitzen Menschen vertieft in intensive Diskussionen. Andere gehen achtsam ihres Weges und gewähren höflich dem Vorübergehenden den Vortritt. Ein älterer Herr wandert gemütlich über den Platz und begrüßt eine Gruppe, die Scherze mit virtuellen Antennen macht. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich die weiss-lila-schimmernde intelligente Masse, die seine Beine von hinten stützt und auf seine Bewegungen reagiert.
Alle Gesichter wirken freundlich und entspannt. Aus ihren Augen strahlt ein wunderlicher Glanz von innerer Zufriedenheit. Jedem scheint zu gefallen, was er tut.

Szenenwechsel

Mein Blick schweift über den Platz im Zentrum der Stadt. Es ist still. Einige Menschen laufen ohne weiteren Blickkontakt aneinander vorbei. Die meisten von Ihnen bewegen sich so gleichmäßig und korrekt, dass der Roboteranteil in ihnen zu erkennen ist. Andere stehen vor großen, leuchtenden Glaskästen, die vor tektonischen Formen eines architektonischen Dekonstruktivismus im metallenem Glanz strotzen. Lichtreflexionen lassen virtuelle Bilder entstehen. Der Himmel ist kaum zu erkennen. Es fliegen zu viele Drohnen umher. Die Gesichter der Menschen wirken ausdruckslos. Sie scheinen jegliche Innerlichkeit, jegliches Gespür für sich verloren zu haben. An einem der wenigen Bäume folgt eine Gruppe Kinder in ihren Bewegungen stumm einem Roboter. Jeder der wenigen älteren Menschen auf dem Platz ist mit sich und mit seinen Geräten beschäftigt. Keiner scheint sich für den anderen zu interessieren.

Zwei Bilder einer Welt von Morgen.

Die Frage ist: Wollen wir im Szenarium eins oder im Szenarium zwei leben? Dieser Beitrag ist im Rahmen der Blogparade #Zukunftsblick: Die Welt von morgen der Otto Group entstanden.

Tatsächlich existieren zwei unterschiedliche Bewegungen innerhalb der Transformation und einem Zukunftsblick.

Zum einen arbeiten KI-Forscher (Künstliche Intelligenz) daran, in weiter Zukunft den Menschen durch künstliche Intelligenz komplett zu ersetzen. Automatisierung und Digitalisierung breiten sich in hoher Geschwindigkeit aus und stehen erst am Anfang ihrer Entwicklung. Keiner, selbst die Forschung selbst, kann absehen, wohin diese Reise tatsächlich führt.
Eine Aufsichtsbehörde existiert nicht, wie auch, es gibt niemanden, der einen Überblick hätte, geschweige denn ihn sich aufbauen könnte. Immer mehr Technik scannt „alles“ vom Menschen und von Situationen. Dabei scheint das Scannen von Essgewohnheiten, Konsumverhalten und Vitalwerten noch harmlos. Algorithmen, die große Datenmengen interpretieren, bestimmen in Zukunft, wer Kredite erhält und wer nicht, wer den Job bekommt und wer nicht. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt und wie gesagt unüberschaubar.

Allein im Gesundheitsbereich gibt es rund 40.000 Gesundheits-Apps, hunderte mobile, smarte Geräte, so genannte „Wearables“ und „Insideables“ mit Biosensoren, die sämtliche Vitalfunktionen messen, kluge Socken, „Foodscanner“, 3-D-Drucker für Knorpel und Organe, implementierbare Chips, smarte Uhren und Häuser, in denen nicht nur der Kühlschrank den Einkauf übernimmt, sondern wo ganze Räume komplett auf digital gestützte Pflege ausgerichtet sind. Die Entwicklung ist soweit fortgeschritten, dass so gut wie kein Pflegepersonal mehr erforderlich ist. Alles ist digital gesteuert.

Ausgerechnet Elon Musk, Gründer und Inverstor bei Paypal, Tesla und von SpaceX, einem Unternehmen, dass die Besiedlung des Mars vorbereitet und selbst KI-Forscher, warnt schon seit längerem davor, das KI die größte Gefahr für die Menschheit ist. Auf dem diesjährigen SXSW-Festival, (South by Southwest, Festival, Konferenz und Fachausstellung in den Bereichen Musik, Film und interaktive Medien) in Austin sagte er, KI sei gefährlicher als die Atombombe. Ihm scheint das Vertrauen in den Menschen zu fehlen.

Auch der gerade verstorbene Stephen Hawking mahnte in den vergangenen Jahren immer wieder, dass intelligente Roboter, Klimaerwärmung, Atomkrieg und auch Gentechnik die Erde gefährdeten. All dies führe zu hausgemachten Katastrophen.

Beide haben wohl Recht.

Im letzten Jahr war ich eingeladen, den Zukunftstag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit zu gestalten. Ein partizipativer Versuch, BürgerInnen an Forschung und Wissenschaft teilhaben zu lassen.

Was mich an diesem Tag überrascht hat, war a) was alles schon möglich ist, von dem ich als Bürgerin überhaupt nichts erfahre. Und b) wie sehr jedes weitere Tool uns eigentlich entmenschlicht. Schon jetzt wissen die meisten Menschen nicht mehr, was sie wirklich wollen, was ihnen Spaß macht und was gut für sie ist.

Wenn wir uns immer mehr darauf verlassen, dass Algorithmen uns schon sagen, wie es uns geht, das Algorithmen vorgeben, was wir tun müssen oder schlimmer noch darüber bestimmen, welche Möglichkeiten wir in unserem Leben erhalten und welche nicht, dann verlernen wir immer mehr wahrzunehmen, wie es uns selbst geht. Wir verlernen selbstständiges Denken, Empathie und Mitgefühl. Wir verlernen Menschlichkeit und reduzieren uns auf gesammelte Daten und Fakten. Soziales schafft sich dann von selbst ab. Das geschieht allein schon dadurch, dass sämtliche nachgebildete menschliche Aspekte, die wir in KI wiederfinden, auf erhobenen Daten basieren. In ihnen ist wissentlich ein Teil des Menschseins nicht mit berücksichtigt, nämlich der Teil, der den Menschen von der Maschine unterscheidet. Und noch ein weiterer wesentlicher Nebeneffekt tritt ein. Niemand trägt mehr die wirkliche Verantwortung, denn letztlich verschiebt sie sich auf längst nicht mehr beherrschbare Algorithmen. Wir verlieren den Blick für das Ganze.

Und doch ist Digitalisierung gut.

Sie gehört zu einer unumgänglichen Entwicklung auf dem Weg der Evolution unbedingt dazu. Sie schafft unendliche Möglichkeiten. So paradox es klingt, haben wir doch durch sie endlich die Chance zum Menschsein. Wenn wir sie mit gesundem Menschenverstand und intelligent angehen und das Vertrauen in die Spezies Mensch, in all seinen Anteilen zurück gewinnen, entsteht eine menschliche, wertebezogene Zukunft.

Die Zeit der Aufklärung braucht eine neue Aufklärung.

Die Zeiten der Aufklärung, der Technisierung und Industrialisierung haben uns genug von uns selbst entfremdet. Die Mehrzahl der Menschen sind mit Aufgaben und Dingen beschäftigt, die ihnen nicht gut tun und die sie erkranken lassen. Wir leben in Systemen, in denen der Mensch zum reinen wirtschaftlichen Faktor degradiert ist. Systeme, die so verstrickt sind, dass sie Lösungen unserer dringendsten Probleme behindern. Unser derzeitiges Weltbild lässt uns Kriege führen, Lebensmittel vergiften, Menschen, Ressourcen und Erde ausbeuten. Die Liste ist lang und wir wissen und ahnen alle, dass es so nicht weitergehen kann. Da kann man verstehen, dass Menschen kein Vertrauen in die eigene Spezies mehr haben.

Wir leben in einer gesamtgesellschaftlichen Vertrauenskrise und zwar in allen Bereichen des Lebens.

Das, wovor wir unsere Augen verschließen ist die Tatsache, dass wir Menschen es selbst sind, die sich auf diese Weise deformieren. Dass wir Menschen es selbst sind, die Systeme und Strukturen installieren, die uns selbst und unseren Lebensraum zerstören. Dass wir Menschen es selbst sind, die sich so verhalten, dass jegliche Vertrauensbasis verloren ist.

Zerstört wurde das Vertrauen, weil wir vor allem ab der Zeit der Aufklärung immer mehr verlernt haben, komplexere Zusammenhänge integral zu durchschauen. Wir verlassen uns allein auf Rationales. Eine integrale, holistische Sicht auf die Welt, und die von Natur aus gegebene und gelebte Verbundenheit von allem verleugnen wir.
Und es ist genau diese Verbundenheit, wenn sie denn bewusst ist, die Sicherheit und Vertrauen schenkt und die Digitalisierung im menschlichen Sinne gelingen lässt.
Eine alleinige Ausrichtung auf Rationales verhindert allerdings eine Gesamtschau, denn Rationales kann nur in Einzelfragmenten stattfinden. Unser Denken kann nur linear und in Segmenten stattfinden. Wissenschaft denkt in Segmenten. Eine verbundene und zusammenhängende Schau ist auf dieser Ebene nicht möglich und somit bleibt ein wesentlicher Bestandteil des Lebens außen vor. Dies sollten wir erkennen.

Durch eine intelligente und menschliche Gestaltung von Digitalisierung übernimmt diese für uns einen Großteil von Rationalem und dem Menschen in seiner Natur nicht entsprechenden Arbeitsvorgängen, so dass uns nun ein großer Freiraum zur Verfügung steht, durch den wir uns dem eigentlichen, sinnerfüllten Leben zuwenden können.

So wie auch schon Richard Buckminster Fuller in seiner Schrift „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“ feststellt, retten wir die Menschheit nicht durch den gesamten Reichtum der Menschheit, der in seinen zugegebenermaßen endlichen und materiellen Ressourcen der Erde liegt, sondern wir könnten sie durch die Intelligenz, wie wir diese Ressourcen nutzen, sie miteinander verbinden und technisch meistern, noch retten. Reichtum liegt für Fuller einzig und allein im Wissen.

Wenn wir also Digitalisierung intelligent einsetzen und nutzen, bleibt uns Zeit, uns selbst zu verwirklichen und die Dinge zu tun, die uns entsprechen, mit denen wir uns entfalten können. Es wird dann keine Arbeit mehr geben, die uns unglücklich macht und erkranken lässt.

Alles ist eine Frage des Bewusstseins.

Damit kommt die zweite Bewegung der Transformation der Zukunft ins Spiel: Der Weg des Herzens in der Liebe

Schon Goethe sagte in seinem wunderbaren Werk Wilhelm Meisters Wanderjahre: „Der Mensch an sich selbst, sofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann.“

Hier kommt eine längst vergessene Intelligenz zurück ins Spiel. Es handelt sich um die Intelligenz des Herzens. Unser Herz ist unser größtes Gehirn. Forschungen der Neurokardiologie kommen zu dem Ergebnis, dass das Herz das stärkste und umfassendste rhythmische elektromagnetische Feld des menschlichen Körpers besitzt. Das Magnetfeld des Herzens ist schätzungsweise fünftausendmal stärker als das des Gehirns. Es produziert und koordiniert Informationen. Der Neurokardiologie Dr. J. Armour vom HeartMath Institut in Boulder Kalifornien, kommt mit seinen Forschungen zum Ergebnis, dass das Herz ein eigenes intrinsisches Nervensystem besitzt, das unabhängig vom Gehirn oder dem Nervensystem agiert und Informationen verarbeitet. Seine Impulse durchdringen jede Zelle des menschlichen Körpers, sie beeinflussen die Verarbeitung von Gefühlen, die Wahrnehmung und die Lernfähigkeit.

Spirituelle Lehren und transpersonale Wissenschaften sprechen in diesem Zusammenhang auch von der Intelligenz der Liebe als eine universelle Kraft, die alles durchdringt und dabei völlig unabhängig bleibt.

Diese zweite Bewegung arbeitet mit der Liebe, der Energie und der Fähigkeit der Informationsverarbeitung im Herzen und bringt ein integrales Bewusstsein für den Menschen mit ins Spiel, und zwar, als das, was er wirklich ist; ein liebendes Wesen aus den drei Wesensbestandteilen Körper, Geist und Seele.

Wenn wir alle unsere Bestandteile anerkennen und lernen, sie zu nutzen, können wir das „Raumschiff Erde“ tatsächlich noch umlenken. Wir können ein neues Level von Bewusstsein erzeugen, ein neues Level von Evolutionsstufe. Denn die Wahrnehmung des Herzens ist Liebe, die alles mit allem verbindet, die selbstverständlich Liebe, Mitgefühl, Werte, Achtsamkeit und Respekt lebt.

In den aktuellen Diskussionen über die Zukunft fehlt dieser ganzheitliche Blick auf den Menschen.

Zwar werden Begriffe wie Menschlichkeit, der Mensch im Mittelpunkt und dergleichen sehr oft verwendet, schaut man aber genau hin, geschieht dies größtenteils im Kontext von Wirtschaftlichkeit. Es dreht sich um Technik. Alles muss höher, schneller und besser werden. Der Mensch bleibt weiterhin reduziert auf ein wirtschaftliches Faktum, das funktionieren muss.
Erschwerend hinzu kommt die unterschiedliche Definition des Begriffes Menschlichkeit: Für den einen ist Menschlichkeit die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, für den anderen ist sie Kollaboration, Agilität oder flexible Arbeitszeit. Für IT-Firmen zählt zur Menschlichkeit Software, die uns nach dem Wohlbefinden fragt oder anders herum, die uns sagt, wie es uns heute geht.

Die Lösung ist unser liebendes Herz.

Es schenkt uns einen Systemüberblick und eine größere Bewusstheit, die nicht allein in lineare Zusammenhänge denkt oder alles im Ursache-Wirkungs-Prinzip hinterfragt. Sondern, die ein offenes, integrales und holistisches Bewusstsein bildet, das in der Verbundenheit der Dinge existiert. So wie der Mensch. Er ist a priori ein liebendes, holistisches Wesen, das über die Kausalität seiner Seele immer in Verbundenheit mit der Natur, der Erde und dem gesamten Kosmos lebt.

Wenn wir uns der Ebene des Herzens wirklich in ihrer Konsequenz bewusst werden, steuern wir das „Raumschiff Erde“ mit einem ganzheitlichen Wissen und finden darin eine innere Orientierung. Für den einzelnen kann dies ein Gespür für sich selbst und ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bedeutet. Für Teams bedeutet es ein respektvolles Miteinander, eine gegenseitige Akzeptanz der individuellen Unterschiedlichkeit und ein co-kreatives, konstruktives Zusammenarbeiten ohne Machtgehabe.

Für die Gesellschaft bedeutet es ein ausgeglichenes Agieren, das dem Wohle von Vielen oder gar von Allen dient, weil komplexe Themen und Zusammenhänge besser erfasst werden. Dadurch können neue Handlungsmöglichkeiten und Lösungsansätze entstehen.

Es ist wichtig, parallel zur technischen und digitalen Entwicklung ein größeres, integrales Bewusstsein aufzubauen. Diese größere Sicht gibt der Menschheit ihren tieferen Sinn und ihren Beitrag für die Welt zurück. Sie baut Vertrauen und Zufriedenheit auf. Zufriedenheit im Kleinen, in Teams und im Gesellschaftlichen, schafft Frieden in der Welt. Nur dann kann Digitalisierung menschlich stattfinden und dem Menschen wirklich dienen.
Es wäre ein Versuch wert, denn am Ende sollte jedem wahrhaft gefallen, was er tut.

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