Folge 13 – Der Philosoph Maik Hosang über Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Liebe

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Podcast: Transforming Organisations for Humanity – Folge #13

Wenn es gelingt, ein Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystem zu entwickeln, was mit weniger Stoff und Energie, und damit auch weniger Zeit und Stress verbraucht, trotzdem lebendig, global, spannend wirtschaftlich ist, dann wird Zeit frei, die die Menschen nutzen können, um andere Dinge, wie sich zu entwickeln zum Beispiel, tun können.

 

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In der Nähe von Bautzen auf dem LebensGut in Pommritz ist Kun Ya Andrea zu Gast bei dem Philosophen und Zukunftsforscher Prof. Dr. Maik Hosang.

Maik du vertrittst eine Professur für Kulturphilosophie und Transformationsforschung an der Hochschule Zittau/Görlitz und forschst im Bereich der nachhaltigen Transformation von Mensch und Gesellschaft. Deine Veröffentlichungen handeln u. a. vom integralen Menschen, der emotionalen Matrix oder Liebe ist die einzige Revolution. Sie befassen sich allesamt damit, wie Gesellschaft sich verändern kann. Eines deiner aktuellen Projekte ist der Aufbau eines Instituts für interdisziplinäre Kreativitätsforschung.

Der Ort LebensGut wurde von dir 1993 mit Unterstützung von Kurt Biedenkopf als sozial-ökologisches Modellprojekt gegründet. Heute ist es Sitz des Instituts für Kultur- und Sozialökologie.

Lieber Maik, ich freue mich, dass wir heute hier zusammensitzen und du dir Zeit für das Interview nimmst.

Du bist Philosoph und deshalb könnte man meinen, dass dich Gesellschaft interessieren muss. Doch was hat dich dazu bewogen, dich mit den Themen nachhaltiger Transformation von Mensch und Gesellschaft zu beschäftigen? Ein Thema, dass letztlich im allgemeinen Mainstream sehr umstritten ist – weil oft nicht empirisch nachweisbar – ist.

Ich muss zuerst zugeben, dass das Thema nachhaltige Transformation mir nur beschränkt am Herzen liegt.

Das ist natürlich jetzt so ein Modebegriff: Nachhaltigkeit. Und Transformation wird auch langsam zu einem anerkannten Begriff. Da aber die Nachhaltigkeit, wie sie zumindest in den offiziellen Gremien gehandhabt wird, mit den berühmten drei Säulen: Kultur; Soziales; Ökologie und Wirtschaft, quasi vor allem Bereiche thematisiert, die letztendlich alle irgendwo – ich sag mal – im Außen sind, fehlt mir hier etwas Entscheidendes. Insofern war auch der Beginn, mich mit dem Thema zu beschäftigen, wo anders. Der lag irgendwo in der Pubertät oder später mit der Frage: „Was macht man als Mensch auf dieser Welt?“

Und da ich das Gefühl hatte, dass die Art der Gesellschaft, in der ich aufwuchs, nicht unbedingt so optimal ist dafür, wie ich gerne leben und arbeiten würde, habe ich also darüber nachzudenken begonnen, was der Grund dafür ist und ob es Wege dafür gibt, das ein bisschen optimaler für meine Sehnsucht zu gestalten. Und nachdem ich dann dementsprechend Philosophie und Psychologie studiert hatte, um zu verstehen, welche Potenziale wir Menschen von Natur aus oder aus dem Universum haben und wie Gesellschaft, die auf einer bestimmten Weise formt, formiert, unterdrückt, entfaltet.

Klar kann man dann in Bezug auf die heutige Zeit und auch zu den Begriffen Sozialökologie oder nachhaltige Transformation sehen, dass die Art der konkreten Veränderungen, die heute anstehen, erstmal ganz konkret von außen betrachtet mit diesen Themen zu tun haben.
Wie kann also eine ökologischere Wirtschaft und eine global vielleicht sozialere Struktur sich realisieren, aus der dann auch mehr Raum, mehr Entfaltungsmöglichkeit fließen kann und wird, so dass Menschen sich entwickeln können?
Weil ein Problem, dass wir jetzt Nachhaltigkeit nennen, ist ja, dass wir seit 200 Jahren in einer bestimmten Art von Wirtschaftssystem leben, was eine eigene Dynamik aus inneren Wettbewerbs- oder Konkurrenzgründen hat, letzten Endes immer mehr und effizienter Dinge zu produzieren.
Und obwohl aus ökologischen Grenzen her – sozusagen das Maß der Dinge, die wir benutzen können und sollten, eigentlich schon überschritten ist, macht das System aus inneren Gründen weiter, da noch mehr zu entwickeln und zu produzieren, zu verteilen.

Und insofern ist also dieser innere Widerspruch, wenn es gelingt, ein Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystem zu entwickeln, was mit weniger Stoff und Energie, und damit auch weniger Zeit und Stress verbraucht, trotzdem lebendig, global, spannend wirtschaftlich ist, dann wird Zeit frei, die die Menschen nutzen können, um andere Dinge, wie sich zu entwickeln zum Beispiel, tun können.

Wenn man dir so zuhört, hört sich das an, als wenn dieses ökologische Transformationssystem in der Wirtschaft, was von außen da ist, einfach ein eigenständiges fungierendes Etwas ist, was sich längst ein bisschen abgetrennt hat von den Personen, von den Menschen. Siehst du das so?

Klar. Naja, es ist ja nicht zufällig so, dass die moderne Soziologie eigentlich genau so ein Bild hat. Gesellschaften sind sich selbst organisierende Systeme mit bestimmten Subsystemen, wie Wirtschaftspolitik, Bildung und what ever… und die Menschen sind quasi nur Funktionäre, die mit bestimmten Anlagen auf die Welt kommen, aber halt funktionalisiert werden, um ihre Rollen zu spielen, damit das System sich weiterhält.
Also das ist ja nicht zufällig, dass dominierende Bild der modernen Soziologie.

Also das System dient nicht mehr den Menschen, sondern der Mensch dient dem System, wenn ich das richtig verstehe.

Ja, das sind alles nur Worte. Das passt jetzt natürlich nicht. Der Mensch dient nicht dem System. Er wird vom System quasi irgendwo benutzt, denn das System existiert ja nicht außerhalb von uns. Es sind nur unsere Muster, unsere Gewohnheiten. Insofern ist es schwierig das auszudrücken. Aber es ist eine Art von Gesellschaft, die auf eine gewisse Weise das menschliche Potenzial so formiert, dass der Mensch das Gefühl bekommt, dass er gezwungen ist, diesem System zu folgen, obwohl er in seinem inneren Wesen vielleicht gar nicht unbedingt so glücklich damit ist.

Die eigentlichen Sehnsüchte, Widerstände oder die Möglichkeiten, die der Mensch hat, z.B. für andere Arten von Kultur, für Wirtschaft und Gesellschaft werden dabei wenig entfaltet und klar, dadurch entsteht bei vielen Menschen das Gefühl es ist so, es geht gar nicht anders und ich habe gar keine Chance mich da einzugliedern, sonst falle ich raus und bin alleine und verlassen oder arbeitslos.

Das ist eine Dynamik, wie gesagt, die aber auch ihren Sinn hatte. Es war sinnvoll in diesen nördlichen Regionen erstmal so eine effiziente Wirtschaft aufzubauen. Darin hatte Karl Marx ja recht, aber der Punkt ist halt heute überschritten.

Dann kommen wir zu dem Schlüsselbegriff, der jetzt überhaupt populär in dieser Welt wird, nämlich dem Begriff Liebe.
Liebe ist ein Schlüsselbegriff, der sich durch deine Aktivitäten hindurchzieht. Dein aktuelles Buchprojekt bezieht sich auf Erich Fromms Buch „Die Kunst des Liebens“. Was ist Liebe für dich? Was interpretierst du in diesen Begriff hinein?

Ok, also ich kam darauf, als ich nach meinem Studium eine Promotion und eine Habilitation schrieb mit dem gerade schon erklärten Sinn zu verstehen, welches Potenzial wir Menschen von Natur aus oder vom Universum aus haben, bevor wir von der Gesellschaft geprägt werden.
Also welches Potential in der Menschwerdung sich so formierte, dass auf dieser Grundlage die verschiedenen Arten von Kulturen, von Wirtschaften und Gesellschaften, die wir kennen, die letzten Jahrtausende lang, möglich wurden.
Und da wurde mir bei meinen Forschungen klar, auch aufgrund natürlich anderer Forscher, dass es eine Qualität, eine Kompetenz gibt, die klassisch Liebe heißt. Die zwar in den modernen Wissenschaften und in der Psychologie wenig erforscht ist oder wenig eine Rolle spielt aus den bestimmten, gerade schon erklärten Gründen, aber die dennoch eigentlich das entscheidende menschliche Potenzial ist. Nicht nur für die eigene Sehnsucht, für das eigene Glücksgefühl, sondern spannenderweise auch dafür, dass der Mensch überhaupt Mensch geworden ist.

Und wenn du also jetzt fragst: Was ist für mich Liebe, ist das nicht so einfach zu beantworten, weil die Begriffe dafür fehlen. Ich kann es nur denken in einer Spanne zwischen Liebe als Grund des Seins, wie es in der Bibel steht, Gottes Liebe oder Buddhas Mitgefühl. Und Liebe als eine konkrete menschliche Kompetenz, im Sinne des Ganzen zu sein, zu fühlen, mich zu verhalten.

Ganz konkret ist Liebe auch deshalb insofern ein spannender Begriff, weil es gibt keinen anderen, der zwei Grundqualitäten des Menschsein oder auch der Evolution des Seins so verbindet wie dieser Begriff.

Liebe inkludiert sowohl Verbundenheit als auch Freiheit. Wir tendieren zwar immer sie auseinander zu denken – entweder wir sind verbunden oder frei, aber eigentlich ist alles Wesentliche ist paradox, gehört es zusammen. Und Liebe ist der einzige Begriff, der beides integriert.

Wie würdest du das allgemein in der Gesellschaft vorherrschende Menschenbild beschreiben und welchen Einfluss hat deiner Meinung nach Liebe auf dieses Menschenbild?

Aufgrund geschichtlicher Umständen aber auch, dass sich die westliche Gesellschaft in der nördlichen Hemisphäre entwickelte, wo es relativ kalt ist, wo man nicht einfach wie in südlichen Bereichen sich durch die Natur treiben lassen kann und genug zu essen und genug Wärme findet.
Das heißt, hier entstand also deshalb nicht ganz zufällig eine Art von Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, was erstmal den Fokus darauf legte, wie Marx sagte „materielle Lebensgrundlagen“ zu sichern, um sozusagen eine ständige Bedrohtheit durch die Natur und durch die Umstände erstmal aufzuheben und zu relativieren.

Und in diesem Sinne also war in diesen 300/400 Jahren seit dieses westliche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sich so effizient entwickelte, dass es dann zunehmend funktionierte und inzwischen die ganze Welt beherrscht. In diesem System war es sozusagen primär diese wirtschaftliche Funktionalität und Effektivität zu organisieren.

Und die anderen Seiten des Menschen wie Liebe, Mitgefühl, Muße, Kreativität die waren in diesem Sinne einfach nicht wichtig oder sogar störend. Also wurden die quasi ausgegrenzt, zurückgedrängt, nur in kleinen Schichten gelebt in der Wissenschaft waren die gar nicht thematisiert. Insofern kommen wir bzw. leben wir immer noch in einer Art Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, die eben primär diese materiellen, technischen, effizienten Seiten des Menschen thematisiert und die anderen halt relativ privatisiert.

Wir haben ja heute eine Diskussion über Digitalisierung und Mensch und es gibt viele Aussagen darüber, dass die Digitalisierung sich weiterverbreitet, aber der Mensch wird da auch als störender Faktor oft gesehen. Das ist ja fast eine Parallele.

Obwohl, ich finde das nicht so eindeutig. Es gibt wie immer verschiede Strömungen. Die eine ist klar der mehr technische Zweig, der dann auch mit Fantasien wie irgendwann werden die Roboter herrschen und die Menschen gar nicht mehr gebraucht, oder so ungefähr, sich thematisiert. Bei denen ist das so.

Aber ich kann es natürlich auch ganz anders sehen, dass eben durch diese Effizienz und Feinsteuerung, die erst durch die Digitalisierung möglich wird, ja sozusagen dieses Wirtschaftssystem so effektiv wird oder die Produktion so vielfältig, dass erst dadurch der Mensch eigentlich wirklich heraustreten kann und frei wird, um sich endlich seinen eigenen Sinn und Zwecken zu widmen.

So, dass die Digitalisierung dann ein Medium ist, ein Mittel, eine Produktivkraft, die a) einfach aus reiner Produktivität, aber b) quasi auch – und da kommen wir zum Thema Kreativität – die Möglichkeiten überhaupt erst schafft, dass Menschen sich frei entfalten können, weil sie erstmal, egal wo sie sind, wenn sie ein Smartphone haben über alles Wissen, alle Musik, alle Kreativität der Welt verfügen, mit allen Menschen Kontakt aufnehmen können, so dass eigentlich die Frage dann eher ist: „Gibt sie dem Menschen eine Kraft, eine Instanz, ein Selbstgefühl, ein Selbstbewusstsein, die sie befähigt, dann nicht wie es bisher ist, dass er eher von der Wirtschaft, Technik vereinnahmt wird, wie es Marx mal schon sagte, sondern Wirtschaft, Technik wieder integriert.

Das ist eigentlich die spannende philosophische Frage. Und da gibt es natürlich gegensätzliche Haltungen.

Wie immer.

Ja.
Das ist ja auch das erfrischende in dieser Welt dann letztendlich.

Wenn wir zu dem Begriff der Transformation zurückkommen, der oft verbunden ist mit dem Begriff des integralen Bewusstseins, eines größeren oder durchdringenderen Bewusstseins, was wiederrum mit Liebe verbunden wird. Wie ist dann die holistische, ganzheitliche Lebenssicht im Prinzip von Ursache und Wirkung?

Wie entfaltet sich das in dieser Kultur, in dieser Gesellschaft?

Das denke ich, wird gar nicht so viel anders sein wie es in allen geschichtlichen Transformationsprozessen bisher war, z.B. bei der Entstehung der Menschheit, bei der Entstehung der ersten großen Hochkulturen oder dann später der modernen Gesellschaft.
Es werden Menschen irgendwo aus persönlichen oder Krisengründen anfangen, neue Wege zu gehen, neue Arten von Unternehmen zu gründen, was ja auch schon zum Teil geschieht: Mit anderen Führungsmethoden, anderen Zielstellungen, mit anderen Wertgefügen, werden anderen Formen von Arbeitsteilung und Lebensorganisation und von Liebes- und Wissenschaftsorganisationen entwickelt. Insofern ist die Evolution eigentlich ein großes Experimentierfeld.

Genauso wie es in der Natur geschieht, bei der Evolution der Arten. Es gibt immer viele Versuche, viele scheitern und einige, denen es gelingt, das für die Umstände passendere neue Format, neue Qualität hervorzubringen, die werden dann sich tendenziell entfalten. Die werden von anderen aufgenommen, die werden davon lernen, die werden weiterwachsen.

Und das Spannende ist natürlich eher, wir hatten ja schon Digitalisierung, wie schnell das geht. Bisher war das ja immer gebunden an Macht, Besitzfragen, Informationsfragen auch und heute in den Zeiten der globalen Verfügbarkeit von Wissen, kann sich das viel schneller verbreiten. Und das ist eher die spannende Frage. Das kann man nicht voraussehen. Das ist der berühmte Schmetterlingseffekt. Mit welcher Geschwindigkeit sich dieses neue Wissen, diese neuen Erfahrungen, diese neuen Wirtschaftsformen dann vollziehen und ob es schnell genug geht, um die drohenden Probleme ökologischer Art zu lösen, das ist zu hoffen aber das Wissen haben wir nicht.

Was heißt denn das für den einzelnen Menschen? Was kann jeder für sich tun, um diese Entwicklung mit voran zu bringen, wenn er das Bewusstsein vielleicht dafür hat oder auch sich selbst darin eine Rolle zu geben? Es gibt ja den anderen Trend, dass psychosomatische Krankheiten entstehen, viele Menschen stehen vor der Sinnfrage. Was bedeutet das für den einzelnen?

Ja, das ist die Frage, ob Menschen eben das Potenzial haben, die Qualität, der Grund, Entscheidungen zu treffen und zu verändern, obwohl wir noch in dem System leben, das ein paar hundert Jahre, das dem System suggeriert „Du bist unfrei, du bist nur das, was du durch deine Gene und deine Bildung bist. Und das, was andere Kulturen, ob jetzt religiöser Art oder philosophischer Art mit anderen Akzenten betont, eben dass der Mensch einmalig ist und Teil des Göttlichen und entscheidungsfähig und frei ist. Das ist nicht wirklich präsent. Das lernt man nicht in der Schule und auch nicht in der Hochschule. Und insofern ist der Punkt, also wie vielen Menschen durch welche Zufälle dahin kommen zu erkennen – dass was Heidegger mal formulierte es so: „Das Spannendste heute ist der Punkt der Entscheidung.“

Du sprachst gerade die ganzen psychischen Krankheiten an. Das ist quasi auch ein Teil des Therapiesystems, den Menschen suggerieren: „Wir haben alle Traumata und wir müssen uns ständig behandeln lassen“. Und es gibt auch genau die Gegenhaltung, dass wir im Grunde immer gesund sind, dass wir als Teil des Urgrundes, des Göttlichen, des Universums immer auch Zugang zur universellen großen Gesundheit haben und uns diese Energien jederzeit freisetzen können. Und dann alle Probleme, alle Traumata eben als Weg, als Herausforderungen, als Chance sehen und nicht als Krankheit.

Aber diese Entscheidungsfähigkeit, in der Tiefe des Menschen, ist eben der subtile Punkt, der wirklich sich in jedem Menschen entscheidet. Du und Ich und wer auch immer kann diese Entscheidung treffen:
Was mache ich mit meinem Leben? Wie viel Zeit, wie viel meiner Energie, wie viel Kraft, wie viel Lebensfreude, wie viel Wissen widme ich, um irgendwie in diesem alten System zu überleben?

Oder erkenne ich: Das ist gar nicht mehr nötig. Die Welt der westlichen Hemisphäre ist eh so voller Überfluss, ich werde hier nicht verhungern, und nutze mein Leben lieber dafür irgendwo diese neuen Formen herauszubilden. Auch auf die Gefahr hin, dass irgendetwas schiefgeht, weil die wirkliche Lösung kennt keiner. Aber dann in dem zumindest positiven Gefühl, für meine Enkel, für das Universum, für die Menschheit der Zukunft.

Es macht mehr Sinn, angesichts der Situation mich dafür zu verwenden, als aus Angst, die alten Strukturen zu bedienen. Und diese Entscheidung, wie gesagt, dieser scheinbar subtile Punkt, ja oder nein zu sagen, das zu tun oder das zu tun, das ist etwas, was sich wirklich in der Seele jedes einzelnen Menschen in jedem Moment vollzieht.

Jeder kann mitten im Leben neu entscheiden, was mache ich morgen? Und das ist aber etwas, wie gesagt, das entzieht sich den bisherigen Psychologien und Wissenschaften. Das ist etwas, was von mir aus Philosophie thematisiert und ein bisschen halt Spiritualität oder Religion. Aber es ist leider noch nicht Teil der Kultur heute.
Und deshalb sind viele Menschen eben damit überfordert, weil sie kein Coaching, keine Begleitung, keine Umstände haben, die ihnen klar machen „Wir sind frei!“. Sie können eigentlich jeden Moment entscheiden etwas anderes zu tun.

Ja, viele fühlen sich gefangen in diesem System und auch gefangen in den eigenen Strukturen. Das heißt ich muss für meine Familie sorgen, ich muss arbeiten und so.
Die Frage ist, was kann man dem Einzelnen raten, da raus zu kommen oder wenn wir sagen in der neuen Arbeitswelt, da geht es ja viel um Selbstführung und Selbstverwirklichung der Mitarbeiter. Es gibt viele Förderprogramme dahingehend. Was würdest du einem Unternehmen raten, was er einführen könnte für seine Mitarbeiter, um ein anderes Bewusstsein zu schaffen? Oder auch vielleicht die innere Haltung in diese freiheitsdenkerische Art hineinzubewegen?

Das lustige Paradox ist ja, dass sozusagen dieser Punkt, den wir gerade hatten, selbst die Wirtschaft inzwischen einholt. Was ich ja gerade versuche, mit der Entwicklung der Kreativitätsforschung hier zu lande. Das ist ja einfach so, dass aufgrund des sich immer mehr beschleunigenden globalen Wettbewerbes, den wir gerade erleben zwischen Europa, USA, China und Indien von mir aus.
Die fangen jetzt alle an Elektroautos zu bauen. Die Chinesen sind gar nicht mehr schlechter als wir. So, und die klassische Art, die wir erst hatten, des Industriesystems, so eine bestimmte Quantität auszustoßen, ist letzten Endes gar nicht mehr das, was Unternehmen hier zulande wahrscheinlich tun müssen. Das lässt sich entweder durch Roboter oder momentan halt noch in China oder Indien sinnvoller lösen und das spannende für die Unternehmen der Zukunft ist ja eher, die Produkte so schön oder kreativ oder ästhetisch zu machen, dass die Menschen halt diese kaufen und nicht die von da. Und das wiederum können nur Menschen vollbringen, also Mitarbeiter, die erstmal selber soweit frei gebildet, kreativ sind, dass sie das irgendwie sehen und mitgestalten können. Das heißt eigentlich ist jedem Unternehmer zu raten, wie es ja Firmen wie Google oder andere schon tun, den Leuten ausreichend Freiraum zu geben, entweder als Teilproduktion oder daneben, um sich eben auch als Menschen ganzheitlich oder kreativ zu entwickeln. A sind sie motivierter da zu bleiben und B sind sie dadurch natürlich auch innovativer, dem Unternehmen für die Zukunft halt ausreichend neue Perspektiven zu entwickeln.

Der Unternehmer, der längerfristig sozusagen erfolgreich sein will, sollte erkennen oder wird nur erfolgreich sein, wenn er erkennt, es ist weniger die Technik als die Menschen, die entscheiden werden wie lange sein Unternehmen diesen globalen Wettbewerb bewältigen kann.

Wie ist deine Interpretation von CoCreativität? Warum ist dieser Begriff für dich wichtig? Warum ist der Begriff für dich wichtig?

Der Begriff CoCreativität, wenn ich ihn mal versuche, wirklich nicht nur bloß zu benutzen, sondern so zu verstehen, zu denken, zu entfalten, hat halt folgenden wunderbaren Bedeutungshorizont:
Also ich sage immer, er hat drei Dimensionen. Er hat die eine Dimension, die uns am ehesten einfällt, nämlich die CoCreativität zwischen Ich und Du. Zwischen mir und einem anderen Menschen. Ich kann alleine kreativ sein, aber es ist schöner, es bringt mehr hervor, es ist erfolgreicher, wie auch immer man es nennen mag, wenn ich in der Lage bin, mich mit dem anderen so zu verbinden, dass wir die Schatten oder Blockaden oder Blackouts, die jeder hat, eben noch dadurch erweitern, ergänzen, dass der andere etwas dazu beträgt, das kritisch sieht, spielerisch weiterführt. Also zusammen ist man mehr auch im kreativen Prozess, als alleine. Das ist das eine.

Das zweite ist die CoCreativität sozusagen im Einzelnen. Die moderne Psychologie, ist soweit bekannt, wir sind nicht so ein Guss, sondern jeder Mensch hat verschiedene Facetten, verschiedene Seelenbestandteile, verschiedene Egomomente, verschiedene Gefühle, verschiedene Eltern, Über-, Unter-Ichs, wie auch immer.
Und wenn man aber jetzt nicht davor erschrickt und von Psychotherapeuten suggeriert bekommt, die einen seien problematisch und die anderen nicht, sondern erkennt, das ist alles der Reichtum meiner Persönlichkeit und ich kann auch meine Ängste, meine Traumata genauso kreativ betrachten wie meine Stärken oder meine Erfolgsmomente, dann kann ich in mir, mich selbst als ein CoCreatives Wesen betrachten, was lernen kann, alle Facetten die in mir sind, irgendwo als Teil eines kreativen Prozesses zu sehen.

Dann gibt es die Dritte, die habe ich schon erwähnt, das war die spirituelle Dimension. Da hat jeder sein Weltbild, die einen sehen irgendwo einen Gott da oben, die anderen sehen Göttliches überall und die dritten glauben an Buddha oder Allah und die vierten an die Evolution oder fühlen sich geborgen im großen Energiefeld. Das ist eigentlich egal, aber wenn ich mich entscheide, anzuerkennen, dass ich ein konkretes, beschränktes Wesen bin mit bestimmten Prägungen und Genen, und zugleich aber Teil des Ganzen bin. Und wenn ich mit dem Ganzen Kontakt aufnehme, ob durch Meditation, durch Kontemplation, durch Gebet, durch Philosophie, oder was auch immer, dann bekomme ich Antworten idealerweise. Das kann ich auch Intuition nennen oder Telepathie.

Das heißt die CoCreativität ist auch eine zwischen meinem Ego oder Mir oder meinem höheren Selbst und dem Ganzen im Universum, dem Göttlichen. Und das ist der dritte Moment, den ich damit fassen kann.

Das bringt die Begriffe integrales Bewusstsein, Liebe und letztendlich die schöpferische Kraft des Menschen zusammen. Also das heißt, du bist immer Teil des Ganzen und das wiederum bedarf dann wieder, da kommen wir wieder zurück zu dem, was wir gesagt haben, einer inneren Haltung von Freiheit. Das heißt, ich muss frei sein, das Leben zu können, zu dürfen. Eine ganz persönliche Frage: Wie hältst du dich frei im inneren?

Zum einen versuche ich zu vermeiden, dass ich in diesen erst schon thematisierten System oder Heidegger nannte es Gestell oder Max Weber Gehäuse der Hörigkeit, dieses Industriesystem, was quasi aus bestimmten historischen Gründen die Menschen vereinnahmt, mich da nicht mehr als nötig aufhalte, weil man wird ja immer in diese Ängste und Suggestion hineingezogen. Das heißt, ich achte darauf, dass ich ausreichend Zeit also auch in anderen Räumen, Feldern, menschlichen Zusammenhängen verbringe. Das ist das eine.

Und B, ja… ich hatte ja schon gesagt, dieser Bezug zum Universum ist auch eine Art von Methode, Technik, wo jeder seine finden kann. Meine konkret sind vielleicht zum einen; ich habe hier in diesem Lebensgut einen großen Garten angelegt, einen Waldgarten, und merke immer, wenn ich mit den Bäumen kommuniziere, die ich da wachsen lassen habe, gibt das noch eine Art von Resonanzfeld, wo mir oft Gedanken nur dort kommen und nicht woanders. Sozusagen ich gliedere mich dann ein in einen größeren Kosmos, in die Natur und bin also auch freier und habe also auch Zugang zu größeren Wissen. Freiheit ist für mich ja nicht nur, etwas nicht nicht zu sein, also nicht abhängig, sondern Freiheit ist für mich auch weit offen zu sein und viele Dinge geschehen lassen zu können. Das ist also das eine.

Die andere Variante ist, nennen wir es Meditation oder Entspannung, immer mal darauf zu achten, wenn also irgendein Stress entsteht mal durchzuatmen oder Kontakt zum Grund der Dinge aufzunehmen. Das ist die zweite Variante. Ich kann mich nicht immer in meinem Garten bewegen.

Eine letzte Frage: Wie siehst du die Zukunft? Wie leben und arbeiten wir in unserer Gesellschaft in der Zukunft deiner Meinung nach?

Wann ist für dich in der Zukunft? Also in welcher Zeitspanne?

Ich bin ja auch eher so ein Mensch, der die Gegenwart liebt, vielleicht 2030. Also noch nicht ganz so weit weg.

OK. Stimmt. Ich glaube 2030 wird noch nicht so viel verändert sein. Weil, wir leben ja global gesehen zwar an dem Punkt, wo Veränderungen wünschenswert sind aus ökologischen Gründen, aus sozialen, globalen Gründen und sogleich in einer Welt, in der große Teile der Menschheit, ob in China oder Indien oder Brasilen oder Russland quasi ja noch dabei sind erstmal in die Industriegesellschaft aufzubrechen. Also erstmal überhaupt dabei sind sich einen gewissen Reichtum, Konsum zu erarbeiten und deshalb gerade hineingesogen werden und damit global gesehen eben das Feld dieses Systems noch ganz und gar nicht dabei ist, zu verschwinden. Im Gegensatz, es verstärkt sich grade noch.
Also sage ich immer meinen Studenten, wir leben quasi in mehreren Transformationsprozessen. Wünschenswert, oder da halten sich ein paar Menschen schon auf, nach Analysen von Spiral Dynamics 5 bis 8 Prozent der Menschheit, die sind dabei eben schon die nächste Stufe der Evolution, der Gesellschaft zu entwickeln. Man kann sie integral nennen oder nachhaltig oder menschlich oder schön und gut und wahr, das ist egal.
Aber ein viel größerer Prozentsatz der Menschen ist dabei überhaupt erstmal zu modernen Strukturen zu gelangen. Und die sind auch dabei diese Welt zu gestalten, zu bewegen mit ihren Gedanken, Ängsten, Wünschen, Profitbedürfnissen zu überfluten. Und insofern, ehrlich gesagt, glaube ich, 2030 wird sich noch nicht allzu viel bewegt haben, global gesehen.

Und hast du eine Prognose von Zeitspanne? Ich meine, die Zeit ist ja unverschämt schnell geworden, wenn wir überlegen, was wir in den letzten Jahren entwickelt haben.

Klar. Also technisch – klar. Wenn ich jetzt einfach Digitalisierung und Internet sehe, da werden Menschen noch neue Tools erfinden um miteinander in Kontakt zu sein, zu kommunizieren, das ja.

Aber wie gesagt, was die Struktur des Lebens, des Arbeitens, der Ängste, der Freiheit, nicht Freiheit betrifft, das wird länger brauchen. Und wann, gut nehmen wir mal einen größeren Sprung, den wir wahrscheinlich nicht mehr erleben so 2100 oder so, da ist zu hoffen aufgrund der erst schon thematisierten Beschleunigung, die eben auch durch Internet möglich ist, dass wenn es gelingt. Das ist schon nicht unwichtig, was wir hier in dieser westlichen Welt tun. Also wenn das gelingt hier in den nächsten zwei/drei Jahrzehnten ausreichend funktionierende neue schöne Modelle von Unternehmen, von Leben, von Arbeitern vorzubringen, die aber dann auch so in sich stimmig sind, dass sie einfach überzeugend anstecken, die anderen relativ schnell bewegen, vielleicht muss dann gar nicht alles diesen alten Weg völlig durchlaufen, sondern kann gleich das andere Modell wählen, dann kann das auch vielleicht ein bisschen schneller gehen bis 2100, aber das ist Spekulation.

Eine schöne Perspektive auf jeden Fall in die Zukunft hinein. Vielen Dank für das Gespräch, für die Zeit. Es hat mich sehr gefreut und war super spannend.

Danke für die Fragen und die Gelegenheit, mich auch.

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